Man könnte meinen, dass die Gaffer, die auf der Autobahn anhalten, um verunglückte Autos und verbrannte Leichen zu fotografieren, bereits ein One-Way-Ticket in die Hölle gebucht haben. Doch was sind sie im Vergleich zu den Kriegstouristen, die ihre Kamera zücken, während Menschen in zerbombten Häusern um ihr Leben kämpfen? Kriegstourismus hebt die krankhafte Faszination des Schauens auf ein völlig neues Level – eines, das nicht nur moralische Grenzen sprengt, sondern auch eine düstere Frage aufwirft: Warum tun Menschen so etwas?
Helm, Weste, Hashtag
Statt sich von der Grausamkeit des Krieges abzuwenden, suchen manche bewusst die Nähe zu den Ruinen und Trümmern. Sie fliegen in die Ukraine, buchen „Erlebnisreisen“ an die Front, posieren vor zerstörten Panzern und teilen ihre Bilder stolz in den sozialen Medien. Doch was treibt sie an? Ist es bloße Neugier? Der Kick, das Unfassbare hautnah zu erleben? Oder vielleicht die Hoffnung, ein Stück vom Schrecken mit nach Hause zu nehmen, um sich selbst interessanter zu machen?
Interessant – und beängstigend – ist auch, wie diese Erlebnisse oft inszeniert werden. Manche Besucher kleiden sich bewusst militärisch oder tragen Helme und Schutzwesten, um auf Fotos wie echte Kriegsreporter zu wirken. Sie posten ihre Bilder mit Hashtags wie #WarZone oder #FrontlineAdventure und ernten dafür Aufmerksamkeit in sozialen Medien, während sie sich in vermeintlicher Sicherheit wähnen.
Warum Krieg Menschen anzieht
Psychologisch betrachtet lässt sich diese morbide Lust am Kriegserleben auf mehrere Faktoren zurückführen. Für manche ist es eine Form von Voyeurismus: das Bedürfnis, Gewalt und Zerstörung aus sicherer Distanz zu beobachten, ohne selbst betroffen zu sein. Andere suchen den Nervenkitzel, den Adrenalinkick, den nur der Anblick von realem Leid und Gefahr auslösen kann. Und dann gibt es diejenigen, die sich als „Abenteurer“ stilisieren und glauben, im Krieg ein neues Level von Authentizität zu finden – eine krude Selbstinszenierung auf den Trümmern fremder Leben.
Kriegstourismus ist Voyeurismus auf Steroiden. Er zeigt, wie weit Menschen bereit sind zu gehen, um ihre morbide Neugier zu befriedigen – und wie schnell Leid zu einer Ware wird, die sich kapitalisieren lässt. Während die einen sterben, machen andere Fotos. Und manche zählen dabei die Likes – oder das Geld.
Text: Milena Hildebrandt